Von Michelle Eickmeier
In der Bundesrepublik Deutschland leben derzeit ca. 3,8 bis 4,3 Millionen* islamische Religionsangehörige. In Anbetracht dieser Zahl erscheint es von hoher Relevanz, dass für die schulpflichtigen Kinder darunter ein dem christlichen Religionsunterricht verfassungsrechtlich gleichwertig geregelter islamischer Religionsunterricht eingeführt wird. Nicht nur, weil der Religionsunterricht zu den sog. res mixtae, den gemeinsamen Angelegenheiten also, und damit den größten Berührungspunkten von Staat und Kirche zählt, ergeben sich Schwierigkeiten hinsichtlich der Realisierung. Bei diesem Unterfangen geht es letztlich auch um Toleranz, die Integration der Muslime in Deutschland und um das Zusammenleben verschiedener Konfessionsangehöriger der multikulturellen Gesellschaft.
Islamunterricht quo vadis?
Wenngleich die institutionelle Einrichtung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen verfassungsrechtlich nicht nur für die Großkirchen, sondern auch für nichtchristliche Religionen garantiert ist, so besteht derzeit, bis auf wenige Ausnahmen, kein Islamunterricht als ordentliches Lehrfach im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (GG), zumindest nicht für die sunnitischen und schiitischen Angehörigen des Islams. Eine frühe Ausnahme bildet die nicht dem Islam zugehörige Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF), die den Status einer Religionsgemeinschaft erfolgreich erreichen konnte und seit dem Schuljahr 2008/09 alevitischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in NRW, Bayern und Hessen erteilt. Erst mit der Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts seit 2012 in NRW sowie seit 2013 in Niedersachsen wurde ein weiterer Meilenstein erreicht. Jedoch gelten diese Vorstöße lediglich als Übergangslösung durch einen gebildeten Beirat.
Um die Realisierung eines islamischen Religionsunterrichts zu erreichen, müssen zunächst die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Es stellt sich die Frage, ob der Islam diesen Grundvoraussetzungen derzeit genügt. Der staatskirchenrechtliche Konflikt, den es aktuell in Deutschland zu lösen gilt, ergibt sich aus dem Aufeinandertreffen zweier Religionen, die sich fremder kaum sein könnten. Diskutabel ist, wie der Islam, der nach dem Christentum die zweitgrößte Weltreligion ist, in die Rechtsformen des Staatskirchenrechts eingefügt werden kann. Das Trennungs- und Neutralitätsgebot in Deutschland besitzt nicht die gleiche Radikalität wie etwa der Laizismus in Frankreich, der die Religion im öffentlichen Leben auszuschalten sucht. Die verfassungsrechtliche Norm eines Staatskirchen-Verbots in Deutschland, die in Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) manifestiert ist, impliziert nach moderater Interpretation, der auch das Bundesverfassungsgericht zumeist folgt, kein generelles Trennungsgebot.
Status einer Religionsgemeinschaft notwendig
Damit es zur Realisierung des islamischen Religionsunterrichts auch für die überwiegend sunnitisch und schiitischen religiösen Ströme des Islams kommen kann, müssen sich diese zunächst selbst so organisieren, dass sie den Forderungen des Art. 7 Abs. 3 GG genügen. Dies beinhaltet als Grundvoraussetzung die Statuserlangung einer bestehenden Religionsgemeinschaft. Der antragsstellenden Religionsgemeinschaft steht es dabei frei, sich für eine privat-rechtliche Religionsgemeinschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 4 WRV zu entscheiden, oder die Verleihung des Körperschaftsstatus und der damit verbundenen Hoheitsrechte anzustreben. Jedoch konnte bisher keine islamische Vereinigung die Voraussetzungen zur Verleihung des Körperschaftsstatus des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV erfüllen, wobei aus staatlicher Perspektive auch keine Notwendigkeit dafür besteht, um als Kooperationspartner des Staates gelten zu können. Denn nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind neben den Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus auch privatrechtliche anerkannt (BVerfGE 102, 370/396).
“res mixtae” – Die Waage von Staat und Religionsgemeinschaft
Die islamischen Dachverbände entsprechen derzeit jedoch noch nicht den Anforderungen, die an eine Religionsgemeinschaft gestellt werden. Dem Staat fehlt es an einem durch die islamischen Organisationen eigens autorisierten Kooperationspartner, damit der Religionsunterricht im Sinne des Übereinstimmungsgebots aus Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG unter staatlichem Aufsichtsrecht und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt werden kann. Im Sinne der res mixtae, den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, brauchen die Kultusministerien der Länder folglich einen befugten Verhandlungspartner, um mit diesem kooperieren zu können. In Anbetracht der Fülle der islamischen Verbände ist es nach wie vor offen, welcher als Kooperationspartner in Frage käme. Darin liegt auch der staatskirchenrechtliche Konflikt begründet, denn dem Islam sind korporative Organisationsformen an sich wesensfremd, da er diesen Strukturen ablehnend gegenübersteht. Dem Staat hingegen steht es aufgrund seiner Verpflichtung zur weltanschaulich-religiösen Neutralität aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV keinesfalls zu, aus eigener Initiative einen Ansprechpartner zu befugen, der alle Muslime repräsentiert. Jedoch sieht er sich heute dazu veranlasst, diesen Einigungsprozess nicht mehr aus der Distanz zu verfolgen, sondern aktiv zu unterstützen.
Die zahlreichen islamischen Dachverbände in Deutschland sind vereinsrechtlich organisiert, wobei ein religiöser Verein, da er im Gegensatz zu einer Religionsgemeinschaft nur eine partielle Zielsetzung verfolgt, als Kooperationspartner nicht in Betracht kommen kann. Um den Status einer Religionsgemeinschaft zu erreichen, müssen diverse Grundvoraussetzungen erfüllt sein. So muss die Religionsgemeinschaft von einem religiösen Konsens getragen werden und diesen nach außen vermitteln, sie muss alle Fragen des menschlichen Daseins zu behandeln suchen und die Erfüllung aller religiös motivierten Anforderungen anstreben, die sie stellt. Weiterhin sollte es sich um einen dauerhaften Zusammenschluss von mindestens zwei Personen innerhalb eines bestimmten Gebietes und im Geltungsbereich des Grundgesetzes handeln, wobei die Mitgliedschaft natürlicher Personen durch ihre Satzung klar für den Staat definiert sein muss. Auch hat es derzeit noch keine Religionsgemeinschaft – ausgenommen die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF) erreichen können, das sog. persönliche Substrat aufzuweisen.
Demnach muss das gemeinschaftliche religiöse Leben auch in den untergeordneten Vereinen und nicht nur auf der Ebene des Dachverbandes bestehen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss die Rechtstreue der betreffenden Religionsgemeinschaft als eine weitere Voraussetzung gegeben sein. Diese impliziert insbesondere die Einhaltung der in der sog. Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG normierten Verfassungsprinzipien.
Der Religionsunterricht wird als ordentliches Lehrfach gemäß Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG in konfessioneller Gebundenheit erteilt. Während der Staat im Sinne der res mixtae die institutionell-organisatorischen Voraussetzungen stellt, die sachlichen und personellen Kosten trägt sowie für die Ausbildung der Lehrkräfte sorgt, sind allein die Religionsgemeinschaften aufgrund ihres Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV für die inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts befugt. Sie sind es auch, die die Lehrbefugnis verleihen und über die eigentliche Durchführung des Unterrichts entscheiden. Ferner kann die Religionsgemeinschaft auch ihr Recht auf die institutionell organisatorischen Voraussetzungen, die der Staat zur Verfügung stellen muss, geltend machen.
Organisationsstruktur des Islams auf dem Weg
Die Bemühungen, dem staatskirchenrechtlichen Konflikt mit Lösungsmodellen in Gestalt von Schulversuchen zu begegnen, können aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit nur übergangsweise toleriert werden. Die Modellversuche eines islamischen Religionsunterrichts in den einzelnen Bundesländern, seien sie bekenntnisorientiert, oder wie die 1999 eingeführte Islamische Unterweisung in NRW und Schleswig-Holstein religionskundlich konzipiert, können nur solange als Alternative gelten, bis sich eine islamische Religionsgemeinschaft als Verhandlungspartner des Staates organisiert hat. Die islamischen Vereine in Deutschland – das macht der gut funktionierende Dialog der Deutschen Islamkonferenz deutlich – sind auf dem richtigen Weg dorthin.
Weitere Informationen:
* Diese Zahlen berufen sich auf eine Schätzung, da der Islam nicht über Mitgliedsstatistiken verfügt.
Quelle: SVR.
(Hier veröffentlicht am 19.1.2016)