Veranstaltung vom 5.10.2015
Bericht von Sara Yasemin Sentürk
Ahmad Mansour, Diplom-Psychologe und Autor, lebt seit 10 Jahren in Deutschland und setzt sich hier mittels verschiedener Projekte und Initiativen für Gleichberechtigung, Demokratie und ein friedliches Miteinander ein. Seine Projekte, wie etwa HEROES in Berlin und seine Tätigkeit in der Beratungsstelle HAYAT, richten sich speziell gegen Radikalisierung und Unterdrückung. Bei der Veranstaltung im MIGRApolis-Haus der Vielfalt äußerte er sich speziell zum Thema Salafisten, dem Prozess der Radikalisierung von Jugendlichen und der Präventionsarbeit.
Zum Auftakt der Veranstaltung leitete er das Thema mit seiner eigenen Geschichte ein. Als jugendlicher Palästinenser wurde er selbst aufgrund von verschiedenen Faktoren die diesen Prozess begünstigen, radikalisiert.
Sein Weg aus der Radikalisierung ist ein Beispiel von verhältnismäßig gesehen wenigen Menschen, die es schaffen sich wieder zu Deradikalisieren und erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren.
Fakt ist, dass derzeit 8000 Menschen in Deutschland dem Salafismus angehören und vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ahmad Mansour stellt fest, dass Salafismus ein Thema ist, dass alle Gesellschaftsschichten und Nationalitäten sowie Religionen betrifft. Salafisten (abgeleitet: salaf=Vorfahre), sind eine Gruppierung innerhalb des Islams, mit Ursprung in Saudi-Arabien, deren Ideologie sich mit dem Ursprung befasst. Die Idee, zurück zu den Ursprüngen zu gehen, bedeutet bei den Salafisten, den ursprünglichen Islam zu Zeiten des Prophets Mohammed zu leben und sämtliche Handlungen sowie Gewohnheiten nachzuahmen.
Ahmad Mansour zeigt dabei verschiedene Komponenten auf, die sich Salafisten zunutze machen, um Jugendliche zu radikalisieren. Der „Buchstabenglaube“ bedeutet, dass Jugendliche den Islam nicht hinterfragen dürfen. Ihr kritisches Denken, und ihre Mündigkeit werden mit dieser Tabuisierung der Religion unterdrückt.
Eine weitere zentrale Komponente ist die „Angstpädagogik“. Den Jugendlichen wird ein Glaube an einen „bestrafenden“ Gott vermittelt, der die Funktion eines patriarchaischen Vaters einnimmt. Unter der ständigen Befürchtung, bestraft zu werden, versuchen die Jugendlichen somit unter Angst, diesem zu entgehen.
Mansour betont, dass vor allem durch Netzwerke im Internet und anderen Medien diese Angstpädagogik verbreitet wird. Videos und Fotos, die beispielsweise die Urangst eines jeden Menschen bezogen auf das Thema Tod ausnutzen, werden gezielt mittels einfacher Rhetorik, die für jedermann verständlich ist, verbreitet. Im Zuge der Radikalisierung werden die Jugendlichen somit gezielt mit bekannten Bildern, die überspitzt dargesellt und mit dem Tod verknüpft werden, verängstigt.
Weitere Kennzeichen der Salafisten sind die ungleiche Betrachtung von Menschen, wobei andere Glaubensrichtungen und bestimmte Ethnien abgewertet und diskriminiert werden. Ein zentraler Punkt der salafistischen Bewegung ist das Missionieren („Dawah“). Dabei werden vor allem Jugendliche rekrutiert, die aus schlechteren Familienstrukturen mit gestörter Kommunikation stammen. Die Salafisten haben bei diesen Jugendlichen einen besonders leichten Zugang, da sie meist ohne Perspektive im Leben stehen und ihnen aufgrund der fehlenden Familienstrukturen keine Identitäten vermittelt wurden.
Die Frage, die sich daher aufwirft, ist, warum für viele Jugendliche der Salafismus zunächst sehr interessant erscheint. Zunächst einmal vermittelt der Salafismus ein sehr einfaches Weltbild. Die Welt wird eingeteilt in Opfer und Feinde, wobei Muslime aller Art sich verbinden sollen, um gegen die Feinde zu kämpfen. Die Jugendlichen, die meistens keinerlei Urvertrauen besitzen, bekommen durch die Gemeinschaft der Salafisten innere Ruhe vermittelt, die wiederum dazu führt, dass die Jugendlichen ihr Urvertrauen wieder entdecken.
Viele Jugendliche sind durch ihre Perspektivlosigkeit und zum Teil Mobbingerfahrungen und Diskriminierung so verunsichert, dass die neu gewonnenen sozialen Kontakte und der Zusammenhalt eine Art Gruppengefühl schaffen. Ahmad Mansour betont auch, dass viele junge Mädchen und Frauen sich den Salafisten anschließen, weil sie im Gegensatz zu den Jungen besonders unter den oft patriachiaischen Familienverhältnissen leiden. Die Salafisten dagegen suggerieren ihnen, dass sie als Frauen in Syrien unter gleichen Bedingungen wie die Männer leben können, und dass sie nicht wie in ihren Heimatländern aufgrund ihrer Religion von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sein werden. Somit kann die Radikalisierung für viele Mädchen sehr befreiend wirken. Das Gefühl der Gemeinschaft, dass für verunsicherte Jungendliche ohne elterliche Vorbilder zusammen mit festen religiösen Normen und Regeln Strukturen und Halt schafft und ihnen eine vermeintlich neue Lebensperspektive bietet, spielt bei der Radikalisierung durch die Salafisten dabei eine zentrale Rolle.
In seiner Veranstaltung thematisierte Ahmad Mansour auch den Radikalisierungsprozess. Jeder Jugendliche durchläuft dabei in der Phase der Identitätsfindung Prozesse, die ihn leicht zugänglich für Radikalisierung machen. Besonders Jugendliche mit fehlenden Vorbildern und ohne Vaterfigur sind zusammen mit problematischen Persönlichkeitsstrukturen wie zum Beispiel kritischen und einschneidenden Lebensereignissen, Depressionsphasen und gegebenenfalls Diskriminierungserfahrungen, potentiell gefährdet, in den Sog der Salafisten gezogen zu werden. Mansour betont, dass für diesen Prozess ein Zeitfenster von zwei Jahren besteht. Wenn in diesem Zeitraum Berührungspunkte mit radikalen Salafisten entstehen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Radikalisierung sehr hoch.
Um islamistischen Strömungen zuvor zu kommen und eine Radikalisierung zu verhindern, hat Ahmad Mansour im letzten Teil der Veranstaltung Wege aufgezeigt, die die Gesellschaft und vor allem Pädagogen aller Art mittels Präventionsarbeit zu sensibilisieren. In erster Linie sieht er diese Arbeit als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein zentraler Punkt ist die Elternarbeit, was vor allem Aufklärungsarbeit bedeutet. Es muss vorgebeugt werden. Ein Dialog auf Augenhöhe und die Schaffung eines Bindungsverhältnisses sowie eine Alternative zum Salafismus müssen vermittelt werden. Jugendliche müssen mehr zum kritischen und reflektierten Denken und Handeln gebracht werden. Wenn Jugendliche dennoch radikalisiert werden, ist besonders eine effektive Deradikalisierung notwendig. Eine erneute Integration kann somit nur erfolgen, wenn Jugendlichen Wissen vermittelt wird.
(Hier veröffentlicht am 15.12.2015)