Rezensionen

Tolga hat´s nicht leicht

Tolga

Die Freundschaft zwischen einem deutschen Mädchen und einem türkischen Jungen

Rezension von Ines Hocke

Während uns Marion Röttgen mit ihrem Buch „Tolga hat´s nicht leicht“ in die Welt der Neugierde und Offenheit von Kindern eintauchen lässt, behandelt sie auf eine liebevolle Art und Weise eines der aktuellsten Themen, wie die Integration von Kindern aus Migrantenfamilien.

Eingeführt in diese Welt wird der Leser durch das selbstbewusste, wissbegierige und manchmal auch durchaus vorlaute Mädchen Patrizia. Sie nimmt uns mit in ihren Alltag, lässt uns teilhaben an den vielen Fragen, die ihr durch den Kopf schießen, die Antworten, die sie darauf findet oder aber jene, die ihr plötzlich nicht mehr als wichtig erscheinen. Was Patrizia zurzeit allerdings besonders beschäftigt, ist Tolga, der neue Junge in ihrer Klasse. Denn anders als Patrizia, die ebenfalls ihren ersten Tag in dieser Schule hat, wird Tolga der Einstieg in die Klasse nicht gerade leichtgemacht. Tolga ist der Sohn türkischer Eltern, scheint noch nicht lange in Deutschland zu wohnen, und seine geringen Deutschkenntnisse reichen nicht aus, um sich gegenüber seinen Mitschülern verteidigen zu können.

Im Gegensatz zu einigen Klassenkameraden, die in Tolga einen Jungen zum Ärgern sehen, erkennt Patrizia – nach anfänglichem Zögern – die Notwendigkeit, Tolga zu verteidigen und ihm schützend beiseite zu stehen. Doch ganz ohne Komplikationen verläuft dies nicht, denn auch sie erfährt und erlebt durch Tolga einiges was sie bislang noch nicht kannte. Warum beispielsweise trägt Tolgas Schwester ein Kopftuch und nimmt nicht am Schwimmunterricht teil? Und warum muss man, sobald man Tolgas Haus betritt, die Schuhe ausziehen? Schließlich verlangen das ihre Eltern nur im Winter von ihr. Doch hinter diesen unterschiedlichen Verhaltensweisen, die sich Patrizia zuerst eröffnen, merkt sie sehr zügig, stecken doch mehr Gemeinsamkeiten als anfänglich vermutet. Wichtig ist bloß, sich von diesen unterschiedlichen Verhaltensweisen, wie auch immer sie aussehen mögen, nicht hemmen zu lassen.

Denn, wie Patrizia schnell erkennt, ist Verschiedenheit gar nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil, nicht nur zwischen fremden Ländern, sondern ebenfalls innerhalb Deutschlands ist es nicht selbstverständlich, dass jeder die Lebensgewohnheiten, wie ein bestimmtes Gericht oder sogar vereinzelte Wörter des Anderen kennt. Selbst im eigenen Land gibt es viele unterschiedliche Lebensweisen die es zu entdecken gilt und die zuerst als „fremd“ erscheinen obwohl sie für Andere Alltäglichkeit bedeuten.

Heutzutage wachsen Kinder in einer Welt auf, in der es immer selbstverständlicher wird, auf Menschen aus der ganzen Welt zu treffen, und sie bemerken dabei unausweichlich, dass Menschen ganz verschieden sein können. Doch die Art und Weise, wie Kinder damit umgehen, unterscheidet sich häufig stark von der der Erwachsenen. Sie fragen, ohne groß nachzudenken, ob die Frage nun angebracht ist oder bei dem Gegenüber etwas Negatives auslösen könnte. Unterschiede dürfen bemerkt und es darf auch nach ihnen gefragt werden. In den meisten Fällen ist gerade das Fragen sogar sehr wichtig, denn nur dadurch kann das sogenannte „Fremde“ oder „Andere“ als etwas ebenfalls Natürliches eingeordnet werden.

Die wichtige Frage am Ende des Tages ist jedoch, wie relevant die Unterschiede denn überhaupt sind und ob ihnen überhaupt eine große Bedeutung beigemessen werden muss. Patrizia vergisst sogar für einen kurzen Moment, das sie und Tolgas Familie gar nicht dieselbe Sprache sprechen. Auch die Antwort auf die Frage nach dem Tragen des Kopftuches erscheint ihr plötzlich gar nicht mehr als wichtig, nachdem sie Tolga und seine Familie näher kennengelernt hat. Wichtig ist, dass Menschen so geschätzt werden wie sie sind, und dass man ihnen die Möglichkeit gibt, sich zeigen zu können. Die sehr unvoreingenommene Wesensart von Patrizia ist dafür ein gutes Vorbild. Sie schafft es, Tolga mit einer beeindruckenden Leichtigkeit in die Klasse zu integrieren und lernt dabei sehr viel Neues kennen.

Mit „Tolga hat´s nicht leicht“ hat Marion Röttgen somit ein Kinderbuch geschrieben, welches nicht nur für Kinder eine Bereicherung ist, sondern ebenfalls Erwachsene liebevoll an die Hand nimmt. Denn eben diese sind es, die manchmal nur allzu schnell vergessen, wie die Welt mit den Augen eines Kindes aussieht und wie wichtig es ist, sich diesen Blick hin und wieder zu bewahren.

Marion Röttgen, Tolga hat´s nicht leicht, Verlag opus magnum, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-95612-100-5

(Hier veröffentlicht am 29.6.2016)


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