Ein Kommentar von Bartosz Bzowski
Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, ging mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. Dieser Tag bedeutete auch die Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland.
Während in der damaligen DDR der 8. Mai von Anfang an als „Tag der Befreiung“ begangen wurde, dauerte es in der alten Bundesrepublik bis 1985, als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede die Worte sprach „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“.
Damals war dieser Passus der Rede in konservativen Kreisen sehr umstritten. Für sie war der 8. Mai eher gleichbedeutend mit Niederlage, Zusammenbruch, Stunde Null und auch dem Ende des deutschen Nationalstaates. In der Tat wurde Deutschland erst von den Alliierten besetzt und dann geteilt, da die drei Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich einerseits sowie die Sowjetunion andererseits verschiedenen militärischen Blöcken angehörten und aus ihren Besatzungszonen zwei deutsche Staaten entstanden sind.
Spätestens seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit 1990 hat sich die Sichtweise, dass der 8. Mai der Tag der Befreiung ist, im demokratischen Spektrum parteiübergreifend durchgesetzt. In diesem Jahr, zum 75. Jahrestag des Kriegsendes, ist er in Berlin einmalig gesetzlicher Feiertag. Leider können die geplanten Feierlichkeiten aufgrund der aktuellen Corona-Krise nicht im geplanten Umfang durchgeführt werden. Umso wichtiger ist es aber, die Bedeutung dieses Tages angemessen zu würdigen. In einer Zeit, in der Rassismus und autoritäre Denkweisen zunehmen, in der mit der AfD eine Partei im Deutschen Bundestag vertreten ist, die mindestens in Teilen rechtsextreme Positionen vertritt, soll die demokratische Gesellschaft Flagge zeigen. Sie soll ein Zeichen setzen, dass die überwältigende Mehrheit für Vielfalt, Offenheit und Toleranz steht.
Ein solches Zeichen wäre es zum Beispiel gewesen, den 8. Mai nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland als Tag der Befreiung zum Feiertag zu erklären. Bedauerlicherweise ist es nicht gelungen. Doch es bleibt zu hoffen, dass wenigstens ein abgespecktes Programm zum Jahrestag für eine angemessene Würdigung sorgt. Dass in einigen Bundesländern Landtage zusammentreten, um des 8. Mai zu gedenken, ist zu begrüßen. Dass allerdings sogar an diesem Tag tagespolitische Plenardebatten stattfinden, in denen es zum Beispiel um die Corona-Krise geht, ist bedauerlich. An diesem Tag sollte die Tagespolitik hinter dem Gedenken zurückbleiben. Auch die Tatsache, dass eine Feierstunde im Bundestag unterbleibt, ist eine unglückliche Entscheidung.
„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Ja, das ist uneingeschränkt richtig! Deswegen ist er kein Tag wie jeder andere. Alle Demokratinnen und Demokraten sind aufgefordert, den 8. Mai angemessen zu begehen!