Literatur

Dersim: Geburtsstätte der alevitischen Legenden – Buchrezension einer Studentin

Xizir (Hizir)-Kult und Reya-Xaq-Glaube von Hidir Eren Celik
von Aylin Celik

Das Alevitentum ist eine sehr alte Kultur und Religion, die vor allem in Anatolien seine Wurzeln findet. Häufig wird das Alevitentum von außen als eine Untergruppe des Islams betrachtet und gar als „reformistischer Islam“ bezeichnet. Begründet wird dies mit dem Kult der 12 Imame, die im heutigen Alevitentum eine große Rolle spielen.

Sogar unter den Aleviten selbst herrscht bezüglich des Verhältnisses zum Islam eine gewisse Uneinigkeit, die auf diverse historische und regionale Begründungen zurückgeführt werden kann.

Häufig wird allerdings außer Acht gelassen, dass das Alevitentum als solches bereits tausende Jahre vor dem Islam existierte und dem entsprechend eine Bezeichnung, wie „reformistischer Islam“ oder „ein Zweig des Islams“ allein logisch gesehen nicht nur inkorrekt, sondern auch schon als eine Verleumdung eines uralten Glaubens angesehen werden kann.

Um diese Behauptung besser zu veranschaulichen, ist es notwendig, auf gewisse Aspekte einzugehen, die Celik in ein seinem Werk genauer thematisiert und intensiver diskutiert.

Das Alevitentum weist auf regionaler Ebene sehr entscheidende Unterschiede auf, wobei die Region Dersim im Vergleich zu den anderen anatolischen Gebieten, die stärker vom Islam geprägt wurden, den stärksten kulturellen Kontrast aufweist. Celik veranschaulicht an dieser Stelle sehr genau den Dersimer Kult um Düzgün Baba und Munzur Baba, der seinen Ursprung in regionalen Begebenheiten hat und dazu auch bereits vor vielen Jahrhunderten existierte. Auch stellt er den Xizir-Kult vor, der bei den Aleviten den wichtigsten Schutzpatron verkörpert und ein sehr wichtiges Medium in ihrem Glauben ausmacht.

Er verdeutlicht, dass das Alevitentum in seinem Ursprung ein sehr naturgebundener Glaube ist, in dessen Legenden man Parallelen zu biblischen Texten herstellen kann. Außerdem erklärt er den enormen Einfluss Zarathustras auf die Philosophie der Aleviten und man gewinnt einen sehr guten Eindruck davon, dass die Aleviten einen sehr großen Wert auf Spiritualität legen, den sie durch ihre drei Gebote ausleben.

Hinzukommt, dass Celik außerdem die Verbindungen des Alevitentums mit dem Islam thematisiert und begründet, wieso das Bektaschi-Alevitentum nicht mit dem Dersimer Reya-Xaq-Glauben gleichzusetzen ist. Außerdem führt er im Weiteren aus, dass die Aleviten sehr häufig mit den namensähnlichen Alawiten gleichgesetzt werden, die einen Zweig des schiitischen Islams begründen. Diese Gleichstellung kommt ebenfalls durch den 12-Imame-Kult, den die Aleviten durch den islamischen Einfluss und Haci Bektasch Veli adaptierten. Allerdings ist diese Gleichstellung historisch gesehen nicht korrekt, was ausführlich begründet wird.
Vielmehr gibt es kulturelle Verbindungspunkte mit den Armeniern, wie das gemeinsame Gagant- Fest und im historisch älterem Kontext mit den Hethitern.

Doch neben den religiösen und kulturellen Themen, wird auch der Völkermord an der Dersimer Bevölkerung 1937/38 thematisiert, der mehr als 20 Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern 1915 folgte. Dieses Vergehen, wofür sich die türkische Regierung bis heute keine Schuld eingesteht oder gar um Vergebung bittet, ist die Grundlage für die starke linke Politisierung der Dersimer Bevölkerung, die ebenfalls eine Vernachlässigung der religiösen Praktiken bis 1990 zu Folge hatte. Auch das Auswandern eines großen Teils der Aleviten in andere Städte und Länder hat dies verstärkt.

Schließlich werden verschiedene Mythen der Dersimer Aleviten vorgestellt, die über die Jahre auf mündlichem Weg überliefert wurden und all die Jahre überstanden haben.

Insgesamt ist das Werk von Hidir Eren Celik eine sehr interessante Darstellung des Dersimer Glaubens, der eine Abgrenzung zu dem islamisch konnotierten Alevitentum verlangt. Neben historischen, kulturellen und politischen Auseinandersetzungen kommen auch persönliche Erfahrungen von Celik in Pilgerstätten der Aleviten zur Sprache, die durch schöne Bilder visualisiert werden.

Es wird sehr schön dargestellt, dass die Anfänge des Alevitentums zwar tausende von Jahren zurückliegen, aber dennoch, durch seine humanistischen, anthropologischen und friedliebenden Motiven für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, aktueller sind denn je.
Möchte man also eine wissenschaftliche Betrachtung über die eigentlichen Anfänge des Alevitentums in Dersim lesen, so macht man mit diesem Werk nichts falsch, da man hier buchstäblich in die Welt des Alevitentums in Dersim eintauchen kann.

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