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Ein Ort zu lieben…

„Hier waren viele arme Leute, Ausländer, Zigeuner, jetzt sind sie weg, die alten Wohnungen wurden renoviert und an reiche Leute verkauft oder vermietet worden.“ Manchmal fühlte ich zwischen den Zeilen, dass inzwischen heimisch gewordene ehemalige Ausländer mit Migrationshintergrund keine Neuankömmlinge mögen. Vielleicht führt dieses irgendwo Anzukommen auch dazu, neue Ankömmlinge abzulehnen. Ein gutes Ankommen bedeutet sich wohlfühlen, vertraut und zugehörig zu fühlen. Und dies geschieht erst nach einem langen Kampf. Ich fragte mich, ob der Mensch mit der Weiterentwicklung seiner Wurzeln noch egoistischer wird, oder ob es die Angst ist, erworbene Rechte zu verlieren. Trotzdem – seine Aussage hat mich überzeugt. Er meinte, die Orte sollten gemischt sein, nicht nur Arme, nicht nur Reiche, so denke ich auch.

Dann treffen wir einen netten Chef einer Kleiderreinigung:
„Die Leute hier sind nett. Nicht alle haben Geld. Manchmal wollen sie 5 Euro, 10 Euro von mir. Aber sie bringen es danach wieder zurück“. Ich fragte ihn selbstbewusst „Meinen Sie Obdachlose? Er antwortete“ neee.. auch die Leute, die in den Wohnungen leben“ – ups, ich habe mich erwischt, Vorurteile… “und noch was, Drogen und Alkohol, es macht mich traurig, wenn ich sie hier in der Umgebung sehe, ist nicht gut für die Kinder“, und ich solle es weitergeben. “Ich finde keine Menschen, die bei mir arbeiten wollen, daher bügele ich meistens selber hier, mehr Arbeit für mich.“ Ich stellte mir vor, wie gut er in seinem Job sei, so sanft wie er beim Bügeln vorgehen und auf die Empfindlichkeit des Stoffes Rücksicht nehmen würde, so formulierte er auch seine Kritik.

An einer Haltestelle treffen wir einen jungen Mann, er antwortet auf unsere Frage fröhlich:
„Ich mochte diesen Ort sehr. Hier wohnt mein Freund. Gerade haben wir gestritten, und ich finde es hier sch….“ Passiert halt, aber ein Ort zu lieben ist leichter als eine Person zu lieben, wollte ich ihm sagen, aber dann doch nicht… Er scheint ja nicht sehr beeindruckt zu sein.

Unsere Frage war immer kurz, die Antworten sehr vielschichtig. „Ich habe meine Kindheit in meinem Land gelassen, und ich vermisse es, aber es war nicht leicht dort zu leben.“ So ist es, unsere fehlenden Geschichten tauchen plötzlich auf, manchmal an unerwarteten Orten.

In einem Interview beschrieb der bekannte Schriftsteller Murathan Mungan seine Kindheit in Mardin mit einem eindrucksvollen Satz: „Die Geografie, in der ich aufgewachsen bin, war immer sehr hart, immer sehr schwierig. Sie hat mir schon früh beigebracht, dass die Welt kein einfacher Ort ist.“

Sibel Akkulak-Dosch

Migrapolis Deutschland