Rezension von Bartosz Bzowski
Ali Can beschreibt in seinem neuen Buch das Dilemma vieler Menschen mit Migrationsgeschichte. Wie können sie sich in Deutschland heimisch fühlen, ohne ihre Identität aufzugeben und ihre Herkunft zu vergessen. Seine Antwort: Es muss nicht nur eine Heimat geben, der Mensch kann sich auch an mehreren Orten zu Hause fühlen.
In Anlehnung an die „MeToo“-Bewegung, die sexistische Gewalt gegen Frauen anprangert hatte, entwickelte Ali Can den Slogan „MeTwo“. Gemeint ist, zwei Identitäten haben zu können, eine des Herkunfts- und eine des Aufnahmelandes. Dazu zu stehen, ist der beste Schutz gegen ein Gefühl der Heimatlosigkeit, des Zwischen-den-Stühlen-Stehens, was anderenfalls droht. So können Betroffene auch der Diskriminierung begegnen, die sie sowohl in der ursprünglichen als auch in der neuen Heimat erfahren.
Ausführlich wendet sich der Autor dem Alltagsrassismus in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Das deutsche Schulsystem mit der frühen Selektion ist für die Chancengleichheit kontraproduktiv, da nur wenige Migrantenkinder das Gymnasium besuchen, woran viele Grundschullehrer eine Mitschuld tragen. Auch im privaten Kreis wird teilweise unbewusst Ausgrenzung betrieben, zum Beispiel durch Nachhaken, wenn ein Migrant auf die Frage, woher er komme, Deutschland als seine Heimat angibt.
Unglücklich ist allerdings vom Autor zu Beginn seines Buches das Beispiel von Mesut Özil, dem ehemaligen deutschen Fußball-Nationalspieler, als angebliches Opfer einer rassistischen Kampagne gewählt. Özil wurde nicht wegen seiner angeblichen türkischen Herkunft zur Zielscheibe der Kritik (in Wahrheit ist er in Deutschland, in Gelsenkirchen, geboren), sondern einzig und allein wegen seiner, bewussten oder unbewussten, Unterstützung des autoritär regierenden türkischen Präsidenten Erdogan. Diese Tatsache lässt der Autor vollkommen aus den Augen und lenkt damit vom eigentlichen Problem ab, nämlich, dass in den Köpfen vieler Deutscher die alte Vorstellung, Deutscher sei nur, wer vom deutschen Blut abstamme, noch verankert ist. Glücklicherweise wird genau das im weiteren Verlauf der Ausführungen ausführlich thematisiert, so dass das Werk insgesamt eine empfehlenswerte Lektüre zu den Themen Integration und Identität darstellt.
Ali Can, Mehr als eine Heimat, ISBN 978-3-411-74732-0, Dudenverlag Berlin, 2019, 15,- Euro, 224 S.