Literatur

Transkulturalität. Klassische Texte

Rezension von Guido Esch

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Kulturen stellen keine in sich geschlossenen homogenen Einheiten in containerähnlichen Nationalstaaten dar – dies bildet wohl einen der zentralen Standpunkte heutiger Migrationsforschung. Häufig wird diese Annahme mit dem Begriff der Transkulturalität konzeptualisiert.

Der Soziologe Andreas Langenohl sowie die Literatur- und Kulturwissenschaftler Ralph Poole und Manfred Weinberg stellen in ihrem als Reader konzipierten Band internationale Texte der letzten ca. sieben Jahrzehnte zusammen. Diese sind aus der Perspektive der Philosophie, Soziologie, Anthropologie sowie Literatur- und Kulturtheorie entweder explizit in die Debatte um den Transkulturalitätsbegriff eingebettet, oder weisen implizite Berührungspunkte zum Transkulturalitätsdiskurs auf.

Der Band zielt in erster Linie nicht darauf ab, den zuweilen etwas abstrakt anmutenden Transkulturalitätsbegriff gegenüber anderen Konzepten zu priorisieren. Vielmehr beabsichtigen die Autoren, unter den Schlagworten „Diaspora und Exil“, „Migration, Globalisierung, Transnationalisierung“, „Übersetzung“ sowie „Wissen um das Fremde“ kanonische und bislang weniger prominente Texte in einen imaginären Dialog miteinander zu bringen. Sie zeigen auch die Dynamik in der kulturwissenschaftlichen Debatte rund um die Konzeptualisierung im Hinblick auf die im Lebensalltag stattfindende Aushandlung kultureller Differenz auf, die sich in Vergangenheit und Gegenwart etwa in den Konzepten von Multi-, Inter- und eben Transkulturalität zeigt.

Der erste Themenblock vereint Texte, die sich vor allen Dingen auf kulturelle Aushandlungsprozesse bei MigrantInnen mit oft prekärem Status beziehen, die Formen einer Selbstermächtigung einnehmen können. Der zweite Themenblock regt dazu an, gegenwärtige Migrationsbewegungen im Zeitalter der Globalisierung, dessen Symptom der physischen und mental-imaginären Mobilität nicht erst seit der Begriffsschöpfung begonnen hat, als komplexe Phänomene zu betrachten, die zu Wechselbezügen zwischen Herkunfts- und Ankunftskontexten führen.

Festzuhalten bleibt: Die vermeintlich konträren Pole des Nationalen und Transnationalen sind ohne einander jeweils nicht denkbar, denn die Imagination des einen setzt die Existenz des anderen voraus. Der nächste Themenblock nimmt den Vorgang kultureller Übersetzung, also die interaktive Begegnung von Menschen mit unterschiedlichem Weltbild, in den Blick und regt dazu an, zu hinterfragen, ob das Verstehen des Anderen aus der Perspektive des Eigenen nicht stets einen Bedeutungsverlust dieses zur Folge hat.

Eng damit verbunden ist der letzte Themenblock, der das Dilemma der Ethnologie aufzeigt: Einerseits den Beforschten eine eigene Stimme geben zu wollen und sich der Konstruiertheit jeglicher Realitätsverarbeitung im ethnografischen Text bewusst zu sein, andererseits aber auch die eigene Forschungstätigkeit durch handhabbare Aussagen zu den Forschungssubjekten legitimieren zu müssen.

Der Reader ist in seinem Umfang zeitlich auf die Lektüre im Rahmen eines Universitätssemesters ausgelegt und damit in erster Linie an Studierende gerichtet. Durch die jedem der Oberkapitel immanenten einführenden Bemerkungen der Autoren, die sich vor allem auf die diskursive Einbettung der folgenden abgedruckten Texte sowie Deutungshinweise und Diskussionspunkte beziehen, gleicht der Band konzeptionell einem Universitätsseminar.

Zu empfehlen ist der Band zudem denjenigen, die an einem philosophisch orientierten komplexen Zugang zu im Alltag internalisierten Phänomenen interessiert sind und ihren Fokus auf die Genese des Transkulturalitätsbegriffes sowie der ihn beforschenden wissenschaftlichen Disziplinen legen wollen.

Andreas Langenohl/Ralph Poole/Manfred Weinberg (Hg.): Transkulturalität. Klassische Texte. Bielefeld: transcript Verlag 2015.
ISBN: 978-3-8376-1709-2

(Hier veröffentlicht am 11.11.2015)

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