Ein Kommentar von Hıdır Eren Çelik
Nachrichten häufen sich. Es gibt keinen Tag, an dem Menschen auf der Flucht nach Europa nicht umkommen. Es ist die Folge unserer Flüchtlingspolitik, die dazu führt, dass die Menschen auf der Flucht sterben. Wir sind dafür verantwortlich, da wir es zulassen, dass innerhalb der EU neue Mauern gezogen werden, um zu verhindern, dass die Menschen hier ankommen.
Eine Tragödie wie neulich in Österreich, wo 71 Menschen in einem LKW umgekommen sind, ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein. Solange die Menschen keinen Weg finden, um legal in die EU einzureisen, werden sie den Tod in Kauf nehmen. Es wird nicht dabei bleiben. Es werden weitere Tragödien passieren, da wir uns weigern, sie aufzunehmen und mit einer langfristigen Flüchtlingspolitik in die Gesellschaft zu integrieren. Eine Abschreckungspolitik hat den Tod als Folge. Es ist an der Zeit, dass wir Maßnahmen treffen müssen und die Grenzen öffnen müssen, damit Menschen legal einreisen dürfen. Mit Grenzzäunen wie in Ungarn fliehen wir vor der Verantwortung und stellen damit auch die Glaubwürdigkeit der EU in Frage.
Die brennenden Flüchtlingsheime und die täglichen Angriffe auf Menschen, die bei uns Schutz suchen, sind auch eine Folge unserer Flüchtlingspolitik.
Nach Art. 1 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Abs. 2 ist ein „Flüchtling“ eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will;…“.
In der Flüchtlingspolitik soll ein neues Denken eintreten, das im Sinne des Art. 1 GFK handelt. Die grundsätzlichen Hürden in der europäischen Flüchtlingspolitik sind folgende:
- Flüchtlinge aus Drittstaaten können in Europa grundsätzlich nicht selbst bestimmen, in welchem Land sie einen Asylantrag stellen.
- Das Dublin-III-Abkommen der EU-Staaten sieht vor, dass ein Flüchtling in dem Land, in das er/sie eingereist ist, einen Asylantrag stellen muss.
- Da die Einreise nach Europa überwiegend auf dem Seeweg erfolgt, sind die Flüchtlinge gezwungen, einen Asylantrag in Italien, Spanien oder Griechenland zu stellen. In der letzten Zeit kommen zunehmend Flüchtlinge auf dem Landweg über Bulgarien, Rumänien oder Ungarn
- Viele Flüchtlinge haben Deutschland als Ziel und bleiben entgegen der europäischen Regelungen nicht im Einreisestaat.
Wenn Sie nach vielen Schwierigkeiten in Deutschland ankommen, werden sie in meisten Fällen aufgefordert, Deutschland zu verlassen oder werden abgeschoben.
Dadurch werden viele Asylanträge in Deutschland abgelehnt und Flüchtlinge in die Einreisestaaten zurückgeschickt. Die Einreisestaaten, vor allem Italien, sind mit den hohen Flüchtlingszahlen überfordert.
Die Frage stellt sich, ob Integration ein zentrales Ziel sei oder ob das Prinzip einer Inklusion eine sinnvolle Leitlinie sein könnte. Diese Frage betrifft jetzt nicht nur Flüchtlinge, sondern alle in einer zunehmend durch Migration geprägten Gesellschaft lebenden Menschen. Trotz der Mahnung und Kritik der Kirchen hat die EU aber verschärfte Kontrollen an den Außengrenzen der EU beschlossen, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge nach Europa kommen.
Diese Punkte sind wichtig, wenn man sich für eine humane Flüchtlingspolitik einsetzt:
- Die Schaffung gefahrenfreier Wege für Flüchtlinge nach Europa – Grenzen ohne Stacheldraht
- Ein wirklich funktionierendes Seenotrettungssystem für Flüchtlinge nach Europa. Die Grenzschutzagentur FRONTEX ist dafür allerdings der falsche Akteur
- Eine europäische Aufnahmeregelung, welche die Verantwortung nicht auf die Länder an den Außengrenzen abschiebt und welche die Bedürfnisse der Schutzsuchenden in den Mittelpunkt stellt
- Vorteile und Chancen der Aufnahme von Flüchtlingen berücksichtigen “Sie sind ein Gewinn für unsere alternde Gesellschaft”
- Finanzielle Hilfeleistung von Bund und Ländern für die Kommunen, welche die Eingliederung der Flüchtlinge zur Aufgabe haben
- Dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen am Beispiel des „Leverkusener Modells” à Aufnahme- und Eingliederungsgesellschaft profitieren davon
- Willkommenskultur schaffen
- Teilnahme der Flüchtlinge an der Gesellschaft fördern
- Gewährleistung medizinischer Betreuung
Diese Forderungen müssen umgesetzt werden, damit weitere Tragödien mit Todesopfern vermieden werden. Sonst bleiben die Erklärungen von Politikern, wie sie nach jeder Tragödie geäußert werden, nichts anderes als Lippenbekenntnisse.
(Hier veröffentlicht am 31.8.2015)