Zwei große Cs in der Normalität der Corona-Zeit
von Marion Rissart
Über Corona noch einen Artikel zu schreiben, wirkt nicht nur wie ein schlechter Witz, sondern überdies auch müßig. Zu inflationär erscheinen die wöchentlichen Meldungen der Presse, die täglichen Bulletins des RKI. Mittlerweile werden sie von vielen oft flüchtig gelesen, nach brauchbar und unbrauchbar in der Hirnstube sortiert und abgelegt.
Halbwertzeit der Normalität
Der Rest, so stelle ich erschrocken fest, interessiert mittlerweile oft nur am Rande. Zwar werden die Schreckensszenarien der Ansteckung in Südamerika, New York oder in den deutschen Schlachthöfen nicht als Petitesse abgelegt, aber die USA ist weit, Südamerika erst recht, und die Unterkünfte der Schlachthöfe für mich als deutscher Mittelstandsbürger weiter weg als der Mond. Also bleibt die Frage: Berührt es mich wirklich vom tiefsten Herzen? Oder verbuche ich es unter dem Aspekt der Normalität ab? Und wenn es Normalität ist, wo ist die alte geblieben? Welche Halbwertzeit besitzt eine Normalität, bevor sie offiziell/inoffiziell von etwas Neuem abgelöst wird, was wiederum, Sie wissen schon, zur Normalität wird?
Härtetest mit Maske
Normal ist es für mich mittlerweile, eine Maske zu tragen. Anfangs stöhnte ich über jede Sekunde, in der ich sie über mein Gesicht ziehen musste. Heute kostet es mich noch nicht mal ein müdes Lächeln, obwohl wir den wahren Härtetest (gefühlte 40 Grad im Sommer, ohne umzukippen) noch nicht bestanden haben. Aber, so orakelte mein Gemüsemann, es käme noch etwas auf uns zu, und er prophezeite mir, er würde bestimmt so schwitzen, dass er am Ende des Klimasommers unter dieser Maske ein Faible für Latex und Leder entwickeln würde.
Sich komfortabel Einrichten ist oberstes Gebot
Wir richten uns ein. Und viele von uns, aller Unkenrufen zum Trotz, recht komfortabel. Und auf jeden Fall ist diese Art Einrichtung in der Corona-Ära auch immer mit einem direkten Draht zu seinem persönlichen Geldbeutel verbunden. Einige Menschen, so stelle ich fest, versuchen, sich nicht mit einem normalen Menschen gemein zu machen (da sind wir schon wieder bei dem Wort), sondern haben sich ein Umfeld geschaffen, wo sie die Allgemeinheit auf Abstand halten können und sich den Gefahren der Viren nicht auszusetzen brauchen. Eine besondere Form der Exklusivität, in der die Kümmernisse leichter abprallen können.
Wie das aussieht? Nun, eine Frau berichtete mir, als ich über eine unerträgliche Hitzewelle sinnierte, sie habe den Pool und Grill gereinigt, und nun könne der Sommer kommen. Wie schön, dachte ich und ärgerte mich zum einen über die Empathielosigkeit dieser Frau gegenüber den Poollosen und auch darüber, dass mich leiser Neid (eines der Todsünden, aber das nur nebenbei) beschlich.
Genauso das Gleiche gilt für einen Bekannten, der für seine lange Bürozeiten und sein Partyleben bekannt ist. Wie geht der wohl damit um, wenn er sein Leben nicht mehr nach dem Motto „ work hard, play hard“ gestalten kann? Für ihn muss es auch mal besinnliche Augenblicke des Alleinseins geben, dachte ich, ich gebe es zu, etwas schadenfroh. Aber ich konnte ganz beruhigt sein. Denn die Spezies Mensch ist bekannt dafür, dass sie Schlupflöcher sucht und findet. So auch hier.
Der Hipster-Kiosk als Corona-Entschleunigung
Mein Bekannter fand den Durchschlupf in Gestalt eines Hipster-Kiosks, der, was für ein Zufall, abgeschieden auf einem Grünstreifen steht. Eingebettet zwischen zwei Straßen im Stadtzentrum, macht dieser Kiosk vermutlich in diesen Monaten das Geschäft seines Lebens. Denn dort kann man ein alkoholisches Kaltgetränk zu sich nehmen, sich im genormten Sicherheitsabstand gegenüberstehen, Unterhaltungen führen und sich gepflegt die Corona-Zeit schön trinken.
Bleib beständig in Zeiten Coronas
Und ich ertappte mich dabei, dass mich dieses Gerede über alternatives Partyleben und Buddys mehr amüsierte als verärgerte. Warum? Weil mich gleichzeitig sich ein absurder Gedanke über die Queen beschlich. Queen und Kumpel, wie passt das zusammen?
Nun, bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Queen trotz (oder wegen) der Pandemie immer die Gleiche geblieben ist. So alt wie die Zeit, gibt sie sich stoisch und gelassen, und sie vermittelt ihrem Volk via Bildschirm etwas ganz Entscheidendes: Continuity. Genauso tut es mein Bekannter auch. Mag kommen, was will, er hält an seiner Beständigkeit, jederzeit ausgehen zu können, fest, und er findet legal Mittel und Wege, nach Feierabend mit seinen Kumpels zu trinken. Und es beruhigt mich, denn solange er seinen alten charakterlichen Trampelpfaden treu bleibt, wird unsere Gesellschaft nicht untergehen.
Daher gilt: Continuity ist angesagt.