Literatur

Weihnachts-Gedicht für einen namenlosen polnischen LKW-Fahrer

von Heike van den Bergh
Im Autoradio deiner LKW-Fahrerkabine erklang sicher,
wie bei vielen LKW-Fahrern auf der ganzen Welt,
die Melodie von Chris Reas „I’m driving home for Christmas“.

Du hast fröhlich mitgepfiffen und dich mit schwarzem Kaffee von der Raststätte
im Thermobecher warm und wach gehalten.

Aus Italien kommend, in Deutschland Ware liefernd,
voller Vorfreude auf deine Frau und deinen kleinen Sohn.

Du kamst nie an bei deiner Frau dieses Jahr an Weihnachten.
Polen war dein Ziel, eine kleine Stadt in der Nähe von Gdansk, Danzig.
Noch am letzten Abend zuvor hast du mit deiner Frau
und deinem kleinen Sohn telefoniert,
und du hast ihm versprochen, ihm ein Miroslav Klose-T-shirt
von der DFB-Elf mitzubringen vom Christkind.

Glücklich und voller Liebe hast du vor dem Einschlafen
das Foto von deinen beiden Lieben angesehen, leicht darüber gestrichen
und bist müde und erschöpft eingeschlafen.

Sladko, Mirko, Miro oder Pavel, es spielte keine Rolle für
die geschockte Welt, wie du geheißen hast,
als sie gestern Abend oder manche vielleicht erst heute morgen
beim Frühstückskaffee von dem Attentat in Berlin
mitten im Herzen Berlins, auf dem Weihnachtsmarkt neben der Gedächtniskirche
hörten.

Von den Opfern, Menschen, die, vielleicht mit ihren Kindern,
noch einmal ,bevor der richtige Festtrubel losgeht am Wochenende,
diese festliche Stimmung, den Lichterglanz und den Duft der Gewürze
und Mandeln und Lebkuchen genießen wollten.

Ihren Kindern eine Zuckerwatte oder kandierten Apfel kaufen,
mit ihrer Frau einen Glühwein trinken wollten.

Einfach mal den ganzen Stress des Jahres abschütteln,
sich auf die Ruhe der Weihnacht vorbereiten.

Einfach den Frieden und das Glück des Zusammenseins feiern.
Und dann – donnerndes Motorengeräusch, das unheimlich nahe kommt,
mitten unter die bunten Stände,Getöse, Lärm, schreiende, rennende Menschen,
kreischende Kinder und Frauen, kläffende Hunde, das Splittern der niedergemähten Buden,
überall Polizeisirenen. Und Rettungswagen, Megaphondurchsagen.
Panik.

Mit einem Wort: Terror!
Du hast doch nur eine Verzögerung bei der Anlieferung abwarten wollen auf dem Rastplatz
in der Nähe von Berlin, deinem Anlieferort.

Hast noch mit deinem Chef telefoniert,
der dir sagte, du musst da bleiben, bis es grünes Licht gibt.
Darfst dich nicht vom LKW wegbewegen, falls es jeden Moment losgeht.

Und wegen der wertvollen Stahlrohrladung.
Du wolltest doch vielleicht nur mal kurz direkt neben der Fahrerkabine deine Beine vertreten,
die etwas eingeschlafen waren von den 8 Stunden Fahrt.
oder etwas frische Luft schnappen, kurz mal ein paar Worte wechseln
wenn einer von den dir bekannten Freunden der Straße da wäre.

Da auf einmal, heißer Atem direkt neben deinem Ohr,
du merkst, wie sich eine harte Waffe in deine Rippen, verdeckt unter deiner Jacke, bohrt.

Einsteigen, anlasssen, starten“. Nur drei in rauer Stimme und rauem Akzent gezischte Befehle, du stiegst ein, vor lauter Panik gelang es dir nicht, den inzwischen
kalt gewordenen Motor zu starten. Das Triebwerk röchelte, trank ab. Wieder und wieder.

Schließlich schubste er dich grob auf den Beifahrersitz, als der Wagen endlich ansprang,
fuhr mit dir ein Stück weit auf der Autobahn, bis er zu einem einsamen Parkplatz ohne Raststätte und Zeugen kam. Du wolltest verzweifelt versuchen, vom Handy in deiner Hosentasche den Notrufknopf zu drücken, aber deine Hand schwitzte so sehr, du zittertest,
es gelang dir nicht. Auf einmal ließ der metallene Druck an der Rippe nach.

Du hältst den Atem an. Was kommt jetzt?
Der Motor würgte ab, das letzte was du hörst. Ein Blick auf Frau und Kind am Armaturenbrett.
Dann das harte Metall an der Schläfe. Den Knall hörst du schon nicht mehr.

Du kannst nichts dafür, was nachher passiert ist.
Du bist unschuldig, ein Opfer von sinnloser Gewalt.
Fünf Tage vor dem Fest der Liebe und des Friedens.

Warum?
Das müssen wir uns alle fragen….
Der Herr sei bei deiner Seele, bei deiner Familie und allen die dich kannten.
Und beschütze alle, die einen Angehörigen verloren haben
auf so widersinnige Art und hilflos bangen müssen um die Schwerverletzten.

Hoffen wir, dass die, die versuchen die Welt zu organisieren,
in Frieden zu bringen, ihre Sache in Zukunft besser machen.

Damit endlich Frieden ist auf der Welt.
Nicht nur auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin,
nein auch und eben in Pakistan, Syrien, Irak, Ukraine und wo immer auf der Welt
die Menschen um ihr Leben fürchten müssen.

Damit sie nicht wieder Hass ernten, weil andere ihn gesät haben…
Wir wollen Liebe säen, um Frieden zu ernten, ja?
Versprochen?
Versprochen!

(20.12.2016)

Migrapolis Deutschland