Die Darstellung der Fremde in der Exil- und Migrationsliteratur im deutschsprachigen Kontext.
Eine vergleichende Analyse von Giorgia Sogos
Buchrezension von Aylin Celik
Exilliteratur und Migrationsliteratur sind zwei Begrifflichkeiten, die in Volkes Munde häufig in einen Topf geworfen und im selben Kontext gebraucht werden. Dass diese allerdings zwei verschiedene Genres von literarischen Werken verkörpern, ist dabei den meisten nicht bewusst.
In ihrem Werk „Deutschland gestern und heute“ stellt Gorgia Sogos die fast schon gravierenden Unterschiede der Wahrnehmung des Fremden eines Exilanten und eines Migranten dar, auf dessen Basis die Unterscheidung der beiden mit beruht.
Genau wie es der Titel bereits andeutet, besteht die Analyse aus zwei Teilen, die die deutschsprachige Literatur der Exilanten zwischen der Machtergreifung Hitlers und dem Ende des Zweiten Weltkrieges im ersten Teil behandelt und im zweiten Teil die Migrationsliteratur mit Fokus auf die Werke der Migranten zwischen 1950 bis 1970.
Diese äußerst relevante Differenzierung und Entgegenstellung der beiden Genres ist essenziell für die Literaturwissenschaft und aufgrund des Mangels an wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Migrationsliteratur auch notwendig.
So wird im ersten Teil zunächst Bezug auf die Exilliteratur aus Portugal, den USA und zuletzt aus Brasilien genommen. Besonders positiv fällt an dieser Stelle gleich auf, dass überwiegend Literatur von Frauen behandelt wird, was in Anbetracht des literarischen Kanons im Allgemeinen nicht selbstverständlich ist.
Sogos stellt heraus, dass sich besonders Frauen als anpassungs- und „überlebensfähig“ herausstellten und dies in ihren meist autobiographischen Werken auch zum Vorschien bringen.
Die Fremde, mit der sich die Exilanten notgedrungen auseinandersetzen müssen, ist ein Motiv, welches sie ihr Leben lang begleitet und sich in den Gedanken und Lebensentscheidungen ihrer Protagonisten widerspiegeln. Dieser Zusammenstoß mit einer anderen Kultur, einer anderen Sprache und das immerwährende Heimweh, stellen alle vor großen Herausforderungen, in denen sich besonders die Frauen beweisen können. Und dass dieser innere Konflikt nicht allein durch das Erlernen der Sprache gelöst werden kann, wird auch verdeutlicht.
Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass beinahe sämtliche Werke die während des 1933 und 1945 im deutschsprachigen Kontext kanonisiert wurden, aus dem Exil stammen.
Im zweiten Teil geht Sogos auf das Genre der Migrationsliteratur ein. Im Gegensatz zu „früher“, als die Menschen Deutschland ab 1933 verlassen wollten, wurde Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges das Ziel schlechthin, was auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau und den damit verbundenen Mangel an Arbeitern in Deutschland zurückzuführen ist. Die eingewanderten Bürger wurden weder als Teil der Gesellschaft angesehen, noch gab es Versuchungen diese zu integrieren oder gar sich ein als ein Einwanderungsland zu sehen.
Stellt sich also die Frage, wie migrantische Autoren diese Situation verarbeitet haben. Wo die Exilliteranten berichten, dass sie die Möglichkeit hatten zu publizieren, wurden den migrantischen Autoren zu hier zu Lande von den Verlagen meist abgelehnt und mit Diskriminierung konfrontiert. Diese Diskriminierung begann mit dem Namen und reichte bis in die Wohnungssuche und der Klassifizierung in unpassende Genres.
Als Beispiel führt Sogos einen Schriftsteller an, der in den 60ern nach Deutschland gekommen ist und die erste Generation der Gastarbeiterfamilien repräsentiert. Sie setzt sich intensiv mit den Werken des türkisch-deutschen Schriftstellers Hidir E. Celik auseinander, der zu den Vertretern der Migrationsliteratur gehört. Sie analysiert Celiks Autobiographie, die sein Leben authentisch erzählt.
Hinzu kommt, dass Celik zudem einige Sachbücher veröffentlicht hat, die sich mit inter- und transkulturellem Leben zwischen Migranten und Nichtmigranten beschäftigen, sowie Beiträge zur spezifischen Arbeit mit Geflüchteten. Außerdem geht sie zuletzt auf seine Poesie ein, die ebenfalls Motive, wie Heimat, Fremde, Gegenwart und Vergangenheit thematisieren.
Des Weiteren stellt sie in ihrem zweiten Teil die bulgarisch-deutsche Schriftstellerin Rumjana Zacharieva vor, die ebenfalls als eine Vertreterin der Migrationsliteratur gesehen wird. Sie veröffentlichte Gedichte, Romane, Erzählungen, sowie auch Hörbücher und Übersetzungen aus dem Bulgarischen.
Sogos setzt sich hier auch mit den Erfahrungen Zacharievas auseinander, die sie durch ihre Protagonisten in ihren Werken verarbeitet.
Betrachtet man nun Gorgia Sogos‘ Entgegenstellung von Exilliteratur früher und Migrationsliteratur heute, so wird anhand der exemplarisch gewählten Werke deutlich, dass es sowohl Parallelitäten als Unterschiede gibt.
Diese stellt sie durch ihre Analysen der Motive, Gedanken und Handlungen der Protagonisten in den jeweiligen Werken recht gut heraus. Sie trägt außerdem dazu bei, dass zum einen Exilantinnen, die nicht unbedingt ihre gebührende Anerkennung bekamen, nochmal ans Licht der Betrachtung gezogen werden. Zum anderen verbindet sie in ihrem zweiten Teil sehr verständlich die Zusammenhänge der fehlenden Migrationspolitik mit den Ausgrenzungserfahrungen der migrantischen SchriftstellerInnen in Deutschland.
In beiden Fällen macht Sogos deutlich, dass die Motive Fremdheit, Isolation, Alterität, Einsamkeit in der Gesellschaft und Zwiespalt, leitende Elemente der Leben der Schriftsteller und der Protagonisten in den Werke sind. Sie sind maßgebend und können nicht einfach abgelegt oder vergessen werden.
Trotz der Gemeinsamkeiten auf der einen Seite macht Sogos zum Schluss eine klare Unterscheidung zwischen den Genres, die aus der Perspektive der Forschung relevant und notwendig ist.
https://migrapolis-deutschland.de/2020/07/01/deutschland-gestern-und-heute/