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Bilanz in der Nach-Corona- Zeit: Intensität versus Normalität

von Marion Rissart

Jetzt, wo der gesegnete Alltag uns wieder langsam im Griff hat, scheint es Zeit, Bilanz zu ziehen. Für viele waren die letzten Monate eine intensive Phase ihres Lebens. Eine Phase, in der sie über sich selbst nachdenken mussten, auf ihre vier Wände reduziert waren und nicht ihre nach außen gelebte Intensität in einer normal funktionierenden Welt erleben konnten. Was von vielen sehr bedauert und betrauert wurde. Wie, so frage ich mich, wird diese Intensität verstanden?

Was bedeutet Intensität?
Bedeutet Intensität einen kurzen innigen Augenblick eines banalen Klein-Kleins des Alltäglichen?
Oder doch etwas anderes: der letzte Kick in der Extremsportart, die weiteste Urlaubsreise, das neueste Modell vom Auto, Laptop, Handy, Grill, Pool, was auch immer?

Darf`s ein bisschen mehr sein?
Warum, so überlege ich, will ich das Quäntchen mehr? Noch ein besonderes Wellness-Wochenende, der Kampf um einen Platz in einem angesagten Restaurant, eine Urlaubswoche bei perfektem Wetter mit sportlichen und kulturellen Highlights. Die Intensität dieser Momente, so verlangen wir es und lesen es auch in jedem Ratgeber, soll extrem genossen werden. Gefühlte Augenblicke in die Länge gezogen und konserviert sollen (am besten mit der Handykamera) und der Umwelt mitgeteilt werden. Wenn schon, denn schon.

Wonach streben wir?
Die Frage, die ich mir hier stelle: Wonach streben wir wirklich? Ist es das Verlangen, wie ein Süchtiger die ersten Premieren unseres Lebens (erster Besuch am Meer, erster Theaterbesuch, erster Kuss, erste Liebe, erste große Party bis zum Morgengrauen) in veränderter Auflage irgendwie wieder aufleben zu lassen?

Wir kennen es alle. Die ersten Ereignisse unseres Lebens haften in unserem Hirnstübchen und hinterlassen nicht ein relaxtes In- sich-Ruhen. Sondern wir wollen mehr. Mit anderen Worten: Aus einem genossenen Augenblick soll Standard werden, aber bitte, auf sehr hohem Niveau. So unsere Messlatte.

Intensität durch Gewohnheit?
Oder – schaffe ich es, mich intensiv in meinem Alltag wieder zu finden? Intensität versus Gewohnheit? Oder doch – Intensität durch Gewohnheit?

Was aber bedeutet es, wenn die Intensität wie bei Corona wie ein böser Geist von außen kommt? Wenn wir dadurch Gesundheit, Arbeitsplatz oder Angehörige verlieren und unser persönliches Koordinatensystem nicht mehr stützt, sondern zu brechen droht? Kann ich es dann wirklich so gelassen halten wie der buddhistische Mönch Gendün Rhinpotsche, der da sagte, das alles, was im Geist sei, keinerlei Bedeutung hat, weil es keine Wirklichkeit besitzt?

Für viele Betroffene mag es wie ein blanker Hohn klingen. Braucht es der bodenständige Mensch es in der Nach-Corona-Zeit etwas konkreter? Da bieten sich die vielleicht die leisen Zeilen aus dem Lied „Hey“ von Andreas Bourani an. Dort besingt Bourani mit seiner einfühlsamen Stimme, wenn der Sinn von allem sich nicht zeigt, sich tarnt bis zur Unkenntlichkeit, man nicht so hart zu sich selbst sein soll und es gestattet sein darf, zu fallen. Und bietet Trost anderer Stelle: Du brauchst nur weiter zu gehen, komm nicht auf Scherben zum Stehen…

Womit wir bei der Balance wären, aber das ist ein anderes Thema…

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