Ein Kampfbegriff oder eine Orientierung für ein Zusammenleben in Vielfalt?
Grußwort von Dr. Hıdır Çelik zur 13. Bonner Buchmesse Migration
Kaum ein Begriff hat uns in letzten Jahren mehr beschäftigt als „Heimat“. Darüber wird in vielen wissenschaftlichen, politischen und medialen Plattformen diskutiert, debattiert und geschrieben. Es gibt kaum einen Tag, an dem in den Medien nicht über den Begriff „Heimat“ gesprochen wird. Auch Literatur beschäftigt sich seit denn je mit dem Thema Heimat und Heimatlosigkeit.
Der Begriff „Heimat“ kann sowohl missbraucht werden als auch dem Menschen eine Orientierung, einen Halt im Leben geben. Der Begriff wird aber oft als ein rechter Kampfbegriff verwendet. Die Neonazis, die Rechtsradikalen und auch die Ultra-Konservativen missbrauchen den Begriff meist für ihre politische Ideologie, um sich von Teilen der Gesellschaft zu distanzieren.
Was ist Heimat? Soll sie ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in einer Gesellschaft vermitteln, Heimat als ein Bund der Vielfalt? Migration, Flucht und Mobilität haben auch einen straken Einfluss darauf, dass sich der Heimatbegriff in ständiger Diskussion befindet und sich neu definiert.
Eine einheitliche Definition existiert nicht. Nach Hermann Bausinger kann man den Begriff „Heimat“ als eine räumlich-soziale Einheit mittlerer Reichweite, in welcher der Mensch Sicherheit und Verlässlichkeit seines Daseins erfahren kann, definieren, sowie als einen Ort tieferen Vertrauens, eine Art der Verbundenheit, zugleich als eine offene Gesellschaft betrachten, der ständig sich kulturell verändert.
Soziologisch verweist der Begriff „Heimat“ zumeist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird er auf den Ort angewendet, in den ein Mensch hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserlebnisse stattfinden, die zunächst Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und Weltauffassungen prägen. Er steht auch in einer speziellen Beziehung zum Begriff der „Siedlung“; dieser bezieht sich, im Gegensatz zum Wohnplatz, in der Regel auf eine sesshafte Lebensform, d. h. auf ein dauerhaftes bzw. langfristiges Sich Niederlassen und Wohnen an einem Ort bzw. in einer Region.
„Das wichtigste Buch zum Lesen ist der Mensch“, sagte der Mystiker Hadschi Bektasch. Lesen Sie den Menschen mit all seinen Schwächen, Ungereimtheiten, Ängsten, seiner Wut und Überheblichkeit – aber auch mit seiner Fähigkeit, Gutes zu tun, sowie sich mitfühlend und couragiert zu verhalten. Lesen Sie, die gerade Angekommenen, und die hier Geborenen, jene, die schon immer oder seit langem hier leben und die, die sich vor Generationen auf den Weg gemacht haben, um in einer neuen Heimat ihr Glück oder Schutz zu suchen.
Wie geht das, wenn so Vieles trennt? Eine Eigenschaft der Literatur ist, dass sie dort, wo Politik, Arbeitsgruppen und vielleicht sogar die Vernunft ratlos zurückbleiben, Verbindungen und Empathie schaffen kann. Sie ist es, die die Menschen lehren kann, das zu lieben, zu verstehen oder zumindest zu respektieren, was so fern scheint.
Machen Sie sich auf die Suche nach dem Verbindenden, das die „Heimat aller“ sein könnte, und begegnen Sie den Menschen aus anderen Kulturen, die uns in ersten Augenblick „fremd“ erscheinen – dennoch in der Hoffnung, dass das Konstruktive und Schöne Gehör finden mag, wenn man sich von seinen eigenen Vorurteilen gegenüber den anderen befreit.
Durch Migration und Flucht wird der Mensch seine Heimat verlassen und eine neue finden, aus Heimat werden Heimaten. Nach dem römischen Philosophen Cicero können mehrere Orte für ein bestimmtes Individuum Heimat werden. Umgekehrt gibt es auch ein Gefühl der Heimatlosigkeit, ein nicht gebunden Werden an einem Ort, ständig sich in einer Bewegung befinden, die Suche nach Neuem, das aber nicht ein räumliches Gefühl vermittelt, sondern das Gefühl der Freiheit als Mensch auf der Erde gibt. Hier könnte man sagen, dass die Menschen, die durch Einwanderung und Flucht hier her gekommen sind, seit Generationen hier leben, ein Aufenthalts- oder Bleiberecht haben, sollen genau so wie der Mehrheitsgesellschaft Deutschland als Heimat sehen. Dies bedeutet aber zugleich, einen Anspruch auf Rechte und Pflichten zu haben.
Die 13. Bonner Buchmesse Migration wird die Frage „Was ist Heimat“ mit vielen Veranstaltungen und Diskussionsforen nachgehen, um eine gemeinsame „Heimat der Heimatlosen“ zu finden, der nicht anders als der Mensch selber ist.