Literatur

Hermes – Dichterbote

von Heike van den Bergh
Ich bin kein Gralshüter,
kein Duden-Lehrer,
der die heiligen, in Stein gemeißelten Regeln
von Metrik, Allegorie und Reim hütet
Nein, wie einst Moses,
steige ich vom Berge Olympos herab,
werfe die Steintafeln und Inschriften
der Altvorderen achtlos zur Seite
und berühre mit meinem Kirschblütenzweig
die Bäume – und die Blüten knospen auf
bringen ganz neue Düfte
ich streiche mit ihm
durch das hohe Wiesengras am Bach
und es ertönt eine fröhliche Melodie,
Schalmeienklang
ich tanze einen rückwärts- und vorwärtsdrehenden Reigen,
und langsam reichen mir Kinder, Rehe, Rebhühner,
Füchse, Faunen und Elfen die Hand
wir bilden eine Kette,
die klingt bei jedem zarten Schritt auf den Blumen
wie Äolsharfen
und der laue Wind weht uns
die Wolken hinzu,
die ihren Schäfchentanz wagen
die Fische und Kieselsteine murmeln im Bach
und der Sand am Ufer rieselt leise
die Sanduhr allen Seins hinab
unser sich drehender Schreittanz
begibt sich in den Bachlauf,
zuerst die Knöchel, der Saum der Kleider und Hosenbeine, benetzt,
dann schwillt der Bach zum breiten, aufgeregt hüpfenden Fluss an,
auf die Stromschnellen zu,
und auf dem Hosenboden,
sausen wir hinab in den Strom,
von einem weit entfernten Ufer zum anderen gespannt,
öffnet sich uns das Tor zu einer neuen Welt
wir spielen ihre Lieder auf unseren Trömmelchen, Flöten, Harfen, Grashalmen,
nie geht dort die Sonne unter – stets bleibt ein Silberstreif am Horizont
– Flügel der Morgenröte
Sommer-Haiku
Mondlicht hell auf Gras
Streichkonzert zu Mittsommer
Zikaden zirpen
 

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