Suche nach neuer Heimat

Rezension von Jian Badrakhans Buch „Schweineschinken fliegen schneller“
von Hıdır Eren Çelik

Jeder Mensch hat eine Geschichte, die er lebenslag mit sich trägt. Denn ein Mensch ohne eigene Geschichte ist wie ein trockener Baum ohne Blätter oder wie ein Brunnen ohne Wasser. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte, die erzählt werden soll. Viele von uns tragen ihre Geschichte mit sich, ohne sie zu erzählen. Einige von uns erzählen sie, teilen sie mit uns und lassen uns an ihr teilnehmen.
Wir entdecken uns selber in unseren Erinnerungen, je mehr wir uns mit der Vergangenheit, mit der Zeit unserer Kindheit, Jugend und des Erwachsenwerdens beschäftigen. Die traurigen, schönen und hässlichen Erinnerungen, die sich in unseren Erzählungen finden, geben uns Kraft zu überleben, sie ermutigen uns, unser Schweigen zu brechen.Wir erinnern uns , um anderen zu helfen, damit das hässliche Geschehen nicht Anderen passiert, Anderen keinen Schaden zufügt. Durch unsere Erzählungen geben wir unsere Erfahrungen, die wir gemacht haben, an Andere, damit diese sich vor den hässlichen und grausamen Ereignissen schützen.

Durch unsere Erzählungen und Geschichten entdecken wir zugleich unsere Menschlichkeit.

Durch Jian Badrakhans Buch „Schweineschinken fliegen schneller“ entdecken wir die Lebensreise eines jungen Menschen, der seine Heimat verlassen hat, um in Deutschland sein Glück zu suchen. Es sind soziale und politische Umstände in Syrien, die ihn dazu bewegen, das Land zu verlassen, wenn er es auch nicht will, er muss es.
Wie auch Badrakhan, verlassen Menschen ihr Zuhause nicht freiwillig. Menschen verlassen ihr Zuhause, ihre Familie und Freunde, um ihr Leben und das ihrer Familienangehörigen zu schützen. Auswanderungsgründe sind bei jedem Menschen unterschiedlich. Menschen fliehen vor Gewalt, vor Krieg und Genozid oder vor politischer Verfolgung. Die Gründe für ihre Flucht oder ihre Auswanderung sind so unterschiedlich wie die Menschen selber und ihre Erlebnisse.

Badrakhan lässt uns mit seinem Buch an seiner Geschichte teilnehmen, wie und warum er Syrien verlassen hat. Er lässt uns auch an seinem Leben in Deutschland teilnehmen, welche Erfahrungen er in Deutschland als Student gemacht hat, mal nachdenklich, mal humoristisch, mal traurig.

Allein der Titel des Buches lässt uns schmunzeln. Wie Badrakhan sagt:
Man kann nicht nur »aus Aleppo kommen«, sondern Aleppo wird, wo man auch hinreist, einfach immer mitgenommen.

“Schweineschinken fliegen schneller” ist eine chaotische Orts- und Zeitreise, die geprägt ist von der komischen Hoffnungslosigkeit einer gesamten Generation, der Verwurzelung einer seit Jahrtausenden unterdrückten kurdischen Identität und einer anderen Art der Integration in einer fremden Heimat.

In beiden Orten ähneln sich zufällig die Beamten. Beide erledigen die Anliegen der Menschen nicht, ohne es oftmals etwas schwieriger und langsamer zu machen. Mit einer kleinen Ikramiyeh, eine Art Behördenbestechung, läuft die Sache in Aleppo dann aber doch anders.

Wo man sich nicht sicher und wohler fühlt, wird man sich auf der Suche nach Neuem begeben. Dieser Abschnitt macht auch deutlich, dass die Ereignisse, die im Buch erzählt werden, wahre Geschichten sind, die der Autor selbst erlebt hat.

„Es ging uns in Aleppo nicht gut, eigentlich schlecht. Uns Kindern und Jugendlichen fehlte das Geld, um irgendwas unternehmen zu können. Das Leben in Syrien in den Achtzigern und frühen Neunzigern war von Krieg und Unterdrückung geprägt. Der Krieg der Assad-Regierung mit der Muslimbruderschaft, der Tod und die Bedrohung waren allgegenwärtig. Es fehlte an Lebensmitteln, Taschengeld und generell an Aktivitäten für Kinder und Jugendliche. Wir konnten zur Schule gehen und mussten unsere Freizeit ansonsten selbst auf der Straße gestalten. Je nach Alter spielten die Kinder Fangen, mit Murmeln oder auch mit Karten. Eigentlich gab es viele Spiele, die aber mit der Zeit verschwanden. Das Schöne daran war aber, dass Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und manchmal auch Erwachsene auf der Straße zusammen spielten. Sehr oft erzählten uns Erwachsene abends bei einem Feuer spannende Geschichten. Mitten auf der Straße.“
(…)
„Schon im Flugzeug entschied ich mich, langsam nach den Sitten und Gewohnheiten der neuen Heimat zu handeln und aß, trotz der Warnung meines libanesischen Sitznachbarn, mein Brötchen, das mit Schweineschinken belegt war. Er erzählte mir, dass es sehr schwierig sei, in Deutschland normales Brot zu bekommen. Man solle sich mit dem Scheibenbrot abfinden. Foul und Hummus würden nur in kleinen Dosen verkauft. „Damit kann ich leben“, sagte ich ihm.“
Ein sehr lesenswertes Buch, wenn man an der Geschichte von Bedrakhan teilnehmen möchte. Liebe Leser*innen, reisen Sie mit ihm in die Vergangenheit und suchen Sie mit ihm das Glück.

Free Pen Verlag, Bonn 2022
ISBN 978-3-945177-93-8
€ 14,00

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