Literatur

ŞAHMERAN

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Bild: MikaelF / Wikipedia

Das Märchen von ŞAHMERAN wird seit ca.1000 Jahren in Mesopotamien erzählt. Es handelt von der Schlangenkönigin Şahmeran – halb Mensch, halb Schlange, die über ein unterirdisches Schlangenreich herrscht und der die Liebe zu einem Menschen zum Verhängnis wird.
Şahmeran war die Königin der Schlangen. Über der Gürtellinie sah sie aus wie eine wunderschöne Frau. Aber unter der Gürtellinie sah sie aus wie eine Schlange. Und sie hatte die Macht der Weisheit. Alle Lebewesen hatten Angst vor ihr, obwohl sie ihre Weisheit und ihre Macht niemals gegen ein Lebewesen benutzte.

Aber auch sie hatte Angst vor den anderen. Am größten war ihre Angst vor den Menschen. Sie kannte die egoistischen Begehren der Menschen und ihre Bosheit. Deshalb hatte sie eines Tages beschlossen, sich ganz in ihr unterirdisches Reich zurückzuziehen. Von da an ging sie nie mehr an die Oberfläche, obwohl sie diese sehr vermisste.

Eines Tages hatten 3 Jugendliche mit ihrem Ball im Wald gespielt. Während des Spiels fiel der Ball in einen Brunnen. Cansap, so hieß einer der Jungen, wollte den Ball zurückholen. Aber durch eine Ungeschicklichkeit fiel er in den Brunnen. Seine Freunde bekamen große Angst und liefen davon. Und sie hatten niemandem gesagt, was passiert war.

Als Cansap nach einer Weile zu sich kam und seine Augen öffnete, sah er überall schöne Wiesen und Blumen. Er dachte, dass er gestorben sei. Dann schaute er weiter und sah plötzlich viele verschiedene Schlangen um sich herum.

Eine der Schlangen sagte zu ihm: „Hab keine Angst. Du bist unser Gast. Wir sind sehr nett zu unseren Gästen. Nur die Menschen sind gegen uns. Deshalb müssen wir uns immer vor ihnen verstecken. Jetzt kommt unsere Königin Şahmeran“.

Dann kam die Königin. Cansap traute seinen Augen kaum. Şahmeran war eine wunderschöne Frau. Sein Herz klopfte wie verrückt. Er empfand Aufregung. Ihr Anblick brachte ihn völlig durcheinander. Für Şahmeran war es genauso. Sofort fühlten sich beide zueinander hingezogen.

Nachdem Sahmaran Cansap fragte, wie er in ihr Reich gekommen war, erzählte er ihr, was geschehen war. Daraufhin bat er sie, ihn zurückzubringen.

Şahmeran antwortete: „Wir vertrauen niemals den Menschen, das haben wir uns geschworen. Du bist unser Gast, aber wir können dich nicht gehen lassen.“
Trotz seines Flehens ließ Şahmeran ihn nicht gehen. Nach einiger Zeit, hatte sich Cansap zunächst mit seinem Schicksal abgefunden. Şahmeran und Cansap trafen sich täglich und sprachen über das Leben. Aber nach einer Weile vermisste er seine Familie und seine Freunde immer mehr. Er ging zu Şahmeran und sagte zu ihr: „Bitte lass mich gehen. Ich bin unglücklich. Ich möchte zu meiner Familie und zu meinen Freunden zurückkehren. Bitte lass mich gehen. Ich vermisse die Menschen. Ich werde dich nicht verraten. Bitte lass mich gehen.“

Aber Şahmeran lehnte ab. Sie wusste, dass man Menschen nicht vertrauen kann.

In der folgenden Zeit sah Şahmeran, wie unglücklich Cansap war. Das machte sie traurig. Nach eine Weile sagte sie zu Cansap: „Ich weiß, du wirst mich verraten. Die Menschen sind schwach und unzuverlässig. Sag nicht, dass du schwörst, dass du mich nicht verrätst. Du wirst es irgendwann tun. So, jetzt geh! Aber vergiss eines nicht: Du darfst niemals mit anderen Menschen in ein Badehaus (Hamam) gehen!“

Cansap kehrte zurück und erzählte keinem von seinen Erlebnissen.

In seinem Land regierte ein König. Er wurde sehr krank, und niemand konnte ihm helfen.

Sein Wesir, ein sehr kluger, aber auch ehrgeiziger Mann, hatte ein großes Ziel. Er wollte so weise wie Şahmeran werden. Er sagte zum König: „Nur das Blut von Şahmeran kann euch helfen, wieder gesund zu werden. Wir müssen sie dringend finden. Einer von eurem Volk weiß, wo sie zu finden ist. Um ihn zu erkennen, müssen wir euer ganzes Volk in ein Badehaus bringen. Dort können wir alle nackt sehen. Wer die Haut einer Schlange hat, der hatte die Schlangenkönigin gesehen.“

Daraufhin befahl der König allen Männern, sich im Badehaus zu versammeln. Auch Cansap war unter ihnen. Sobald er sich entkleidet hatte, sahen sie seine Schlangenhaut. Sie nahmen ihn fest und versuchten, mit Schlägen den Weg zu Şahmeran zu erfahren. Aber Cansap verriet ihnen nichts.

Dann brachte man ihn zum Wesir. Dieser sagte ihm: „Wir werden sie nicht töten. Geh zu ihr und frage sie, wie wir unserem König helfen können“.

Aber es war eine große Lüge. Sobald sie Şahmeran erblickten, nahmen sie sie fest. Şahmeran wurde auf einem goldenen Tablett zum Wesir gebracht. Alle waren begeistert von ihrer Schönheit. Auch Cansap war da. Sie guckte hochmütig, und beide sahen sich in die Augen.

„Ich wusste es, Cansap. Meine Schwäche war, mich in dich zu verlieben. Du hast mich verraten, und ich habe die Schlangen verraten! Wenn ihr mich nun tötet, bedenkt: Meine Weisheit ist in meinem Schwanz, mein Gift in meinem Kopf.“

Şahmeran wurde von der Gürtellinie in zwei Teile geteilt. Der Wesir trank das Blut von ihrem Schwanz. Cansap, der so unglücklich über seine Tat war, dass er sich umbringen wollte, trank das Blut vom Kopf.

Der Wesir war sofort tot, und Cansap wurde weise. Şahmeran wusste genau, was der Wesir und Cansap tun würden. So wurde Cansap weise und half von diesem Tage an den Menschen bis ans Ende seines Lebens…

Aufgeschrieben von Sibel Akkulak

Zur Interpretation von Sibel Akkulak

(Hier veröffentlicht am 12.4.2016)

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